Balkonanbau an Mehrfamilienhäusern: Genehmigung, Statik und Kosten im Überblick

Dez 21, 2025

Balkonanbau an Mehrfamilienhäusern: Genehmigung, Statik und Kosten im Überblick

Balkonanbau an Mehrfamilienhäusern: Genehmigung, Statik und Kosten im Überblick

Warum ein Balkon an einem Mehrfamilienhaus so schwierig ist

Ein Balkon, der nachträglich an ein Mehrfamilienhaus angebaut wird, klingt einfach: mehr Platz, mehr Licht, mehr Lebensqualität. Doch hinter dieser Idee verbirgt sich ein komplexes Geflecht aus Rechten, Regeln und technischen Anforderungen. Im Jahr 2025 ist ein Balkonanbau kein DIY-Projekt mehr - es ist ein Bauprojekt, das mit der ganzen Wohnungseigentümergemeinschaft, dem Bauamt und einem Statiker geplant werden muss. Und das, obwohl der Balkon nur zwei bis drei Quadratmeter groß ist.

Was viele nicht wissen: In Deutschland ist jeder nachträgliche Balkon an einem Mehrfamilienhaus genehmigungspflichtig. Es gibt keine Ausnahmen für kleine Balkone, keine „wenn es nur ein bisschen ist“-Regel. Selbst wenn du den Balkon nur als Holzkonstruktion an die Fassade hängen willst - du brauchst eine Baugenehmigung. Und das ist erst der Anfang.

Die Genehmigung: Wer muss zustimmen?

Bei einem Einfamilienhaus entscheidest du allein. Bei einem Mehrfamilienhaus ist das anders. Hier zählt nicht nur das Bauamt, sondern auch die Wohnungseigentümergemeinschaft. Seit der WEG-Reform 2020 reicht eine einfache Mehrheit für Balkonanbauten - aber nur, wenn niemand unbillig benachteiligt wird. Das bedeutet: Wenn dein Balkon die Sicht oder die Ruhe deines Nachbarn beeinträchtigt, kann er sich dagegen wehren. Und er muss das nicht mal schriftlich tun - es reicht, wenn er in der Eigentümerversammlung „Nein“ sagt.

Praktisch sieht das so aus: Du musst zuerst die anderen Eigentümer überzeugen. Das ist oft der größte Hürde. In Berlin hat ein Eigentümer in einem 12-Parteien-Haus sieben Monate gebraucht, bis die Mehrheit da war. In München wurde ein Antrag abgelehnt, weil ein Nachbar Angst vor Lärm hatte - obwohl der Balkon nur 1,20 Meter von der Grenze entfernt war. Die Gesetze sind klar: § 20 Abs. 4 WEG verbietet bauliche Veränderungen, die einen Eigentümer unangemessen beeinträchtigen. Das kann Sichtschutz, Schattenwurf, Lärm oder sogar die Fassadenoptik betreffen.

Dann kommt das Bauamt. Die Prüfung dauert zwischen vier und zwölf Wochen - je nach Bundesland. In Baden-Württemberg läuft alles digital über „bau.digital-bw.de“ und dauert oft nur sechs Wochen. In Hamburg dagegen hat ein Fall 14 Monate gedauert, weil Stadtplanung und Bauaufsicht sich nicht einig waren. Die Unterlagen, die du einreichen musst, sind umfangreich: Grundrisse, Ansichten, Lagepläne, ein statisches Gutachten und ein Nachweis, dass der Balkon nicht gegen den Bebauungsplan verstößt.

Statik: Warum dein Balkon nicht einfach an die Wand gehängt werden kann

Ein Balkon ist kein Regal. Er muss Gewicht aushalten - nicht nur das deiner Gartenmöbel, sondern auch Schnee, Wind und Menschen, die darauf tanzen. Die gesetzliche Mindestbelastung laut DIN 1055 beträgt 3,0 kN/m². Das sind 300 Kilogramm pro Quadratmeter. Ein Erwachsener wiegt im Durchschnitt 75 Kilo - also muss dein Balkon vier Personen gleichzeitig tragen können. Und das ohne zu verbiegen, zu rutschen oder abzustürzen.

Die statische Berechnung ist der entscheidende Punkt, an dem 65 % aller Bauanträge scheitern. Die meisten Anträge werden abgelehnt, weil der Statiker nicht alle Lastfälle berücksichtigt hat: Eigenlast (das Gewicht des Balkons selbst), Nutzlast (Menschen, Möbel) und Schneelast. Die Schneelast variiert stark: In Niedersachsen sind es 0,65 kN/m², in Bayern bis zu 1,25 kN/m². Wenn du in München einen Balkon baust, aber die Statik nur für Niedersachsen berechnet hast - dann ist der Antrag weg.

Dazu kommt die Verbindung zum Gebäude. Ein Balkon, der nicht richtig mit der Fassade verbunden ist, kann Wärmebrücken verursachen. Das bedeutet: Kälte dringt ein, Feuchtigkeit sammelt sich, und die Wand wird feucht. Das führt zu Schimmel, zu Rissen, zu teuren Sanierungen. Ein guter Statiker berechnet nicht nur die Lasten, sondern auch die Wärmedämmung und die Verankerung in den Trägern des Gebäudes. Ohne diesen Nachweis gibt es keine Genehmigung - und keine Bauausführung.

Technische Schnittzeichnung eines Balkons mit Lasten, Wärmebrücken und Verankerungspunkten.

Kosten: Was du wirklich ausgeben musst

Die Kosten für einen Balkonanbau liegen zwischen 8.000 und 25.000 Euro - aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Balkon selbst kostet je nach Material: Stahlbeton etwa 8.500 Euro, Edelstahl mit Glasgeländer bis zu 24.500 Euro. Dazu kommen die Planungskosten: Ein Architekt oder Statiker berechnet zwischen 1.500 und 2.500 Euro für die Unterlagen. Die Bauantragsgebühren variieren zwischen 300 und 1.000 Euro, je nach Gemeinde.

Was viele vergessen: Die Folgekosten eines ungenehmigten Balkons. In 78 % der Fälle müssen ungenehmigte Balkone nachgebessert werden - das kostet oft mehr als der Neubau. In 32 % der Fälle kommt es zum Abriss. Ein Fall aus Köln: Ein Eigentümer ließ 2022 einen Balkon ohne Genehmigung bauen. Zwei Jahre später erhielt er einen Abrissbefehl. Die Kosten: 48.000 Euro - für einen Balkon, der 12.000 Euro gekostet hatte.

Es gibt Förderungen - aber nur in einigen Städten. Berlin zahlt bis zu 5.000 Euro pro Balkon über das Programm „Mehr Leben im Viertel“. In Hamburg gibt es keine Förderung, in Wien (Österreich) gibt es Zuschüsse für energetische Sanierungen, die auch Balkone einschließen. In Graz, wo ich lebe, gibt es aktuell keine speziellen Zuschüsse - aber manche Gemeinden fördern die energetische Sanierung der Fassade, wenn der Balkon dabei integriert wird.

Die 7-Schritte-Planung: So läuft es in der Praxis

  1. Vorabklärung mit dem Bauamt: Frag nach den lokalen Vorschriften - Auskragungslänge, Abstand zu Nachbargrundstücken, Fassadenfarben. In NRW sind bis zu 1,80 Meter erlaubt, in Baden-Württemberg nur 1,20 Meter.
  2. Machbarkeitsstudie: Lass einen Architekten prüfen, ob dein Haus statisch und rechtlich überhaupt geeignet ist. Viele Häuser, besonders aus den 60er-Jahren, sind nicht dafür ausgelegt.
  3. WEG-Beschluss: Einberufe eine Eigentümerversammlung. Bringe einen klaren Vorschlag mit: Größe, Material, Kostenbeteiligung. Viele Eigentümer lehnen ab, weil sie keine Infos haben.
  4. Statisches Gutachten: Lass einen zertifizierten Statiker arbeiten. Erst danach kannst du den Antrag stellen.
  5. Bauantrag stellen: Alle Unterlagen digital oder schriftlich einreichen. In Baden-Württemberg geht es online - in anderen Bundesländern noch per Post.
  6. Genehmigung abwarten: Bereite dich auf Nachfragen vor. Das Bauamt fragt oft nach, ob die Schneelast in deiner Region berücksichtigt wurde.
  7. Bauausführung: Nur mit Genehmigung bauen. Keine Ausnahmen. Keine „wir bauen erst und fragen später“-Mentalität.

Der gesamte Prozess dauert im Durchschnitt 10 bis 14 Monate. Der längste Teil ist nicht der Bau - es ist die Genehmigung. Wer das nicht weiß, gerät in Stress, Geldverlust und Rechtsstreit.

Wohnungseigentümer in einer Versammlung besprechen einen Balkonanbau an einem Modell.

Was du vermeiden musst

Vermeide es, einen Balkon ohne Statik zu bauen. Das ist nicht nur illegal - es ist gefährlich. Ein Balkon, der nicht richtig verankert ist, kann bei starkem Wind oder Schneelast abbrechen. In Deutschland gab es 2023 drei dokumentierte Fälle von Balkon-Einstürzen - alle wegen fehlender Statik.

Vermeide es, die Eigentümergemeinschaft zu ignorieren. Ein Balkon, der nur für dich gebaut wird, aber die Fassade verändert, kann den Wert des ganzen Hauses senken. Andere Eigentümer können dich später verklagen - auch nach Jahren.

Vermeide es, auf „einfache Lösungen“ zu setzen. Es gibt Firmen, die versprechen: „Balkon in 3 Tagen - ohne Genehmigung“. Das ist Betrug. Die Bauaufsicht prüft die Fassade - und wenn sie einen neuen Balkon findet, der nicht genehmigt wurde, kommt der Abrissbefehl. Kein Gericht wird dir helfen, wenn du gegen das Baurecht verstoßen hast.

Was sich 2025 ändert

Die Digitalisierung schreitet voran. Seit Juli 2024 kann man in Baden-Württemberg den Bauantrag komplett online einreichen. Die Bearbeitungszeit sinkt um 30 %. Die Bundesregierung plant bis 2026 eine bundesweite digitale Bauakte - das wird die Prozesse vereinheitlichen. Das ist gut für alle, die einen Balkon bauen wollen.

Aber es gibt auch Verschärfungen. Bayern hat den Mindestabstand zu Nachbargrundstücken von 1,50 auf 2,00 Meter erhöht - um Lärm zu reduzieren. Das macht Balkonanbauten in dicht bebauten Vierteln noch schwieriger. Und bei denkmalgeschützten Gebäuden: Nur 28 % der Anträge werden genehmigt. Wenn dein Haus aus den 1920er-Jahren stammt und unter Denkmalschutz steht, ist ein Balkonanbau praktisch ausgeschlossen.

Die Nachfrage steigt: 2023 wurden bundesweit 12.750 Balkonanbauten an Mehrfamilienhäusern genehmigt - ein Anstieg von 18 % gegenüber 2022. Nordrhein-Westfalen und Bayern führen die Liste an. Die Gründe? Wohnraumknappheit, steigende Mieten, mehr Menschen, die im Alter zu Hause bleiben wollen. Ein Balkon ist heute kein Luxus mehr - er ist ein Teil der Wohnraummodernisierung.

Fazit: Ein Balkon ist kein kleines Projekt

Ein Balkon an einem Mehrfamilienhaus ist kein Anbau, den du mit einem Freund und ein paar Werkzeugen machst. Es ist ein großes Projekt - mit Rechten, Kosten, Zeit und Risiken. Aber es lohnt sich, wenn du alles richtig machst. Die Wohnqualität steigt, der Wert des Hauses bleibt stabil - und du hast einen Ort, an dem du morgens deinen Kaffee trinken kannst, ohne in die Wohnung zu gehen.

Wenn du es ernst meinst: Beginne mit dem Bauamt. Frag nach den Regeln. Lass einen Statiker prüfen. Rede mit deinen Nachbarn. Und lass dich nicht von billigen Angeboten verführen. Der billigste Balkon ist der, den du nicht bauen darfst.

Kann ich einen Balkon ohne Genehmigung bauen, wenn er klein ist?

Nein. Selbst kleine Balkone unter 6 m² benötigen eine Baugenehmigung, wenn sie an einem Mehrfamilienhaus angebaut werden. Die WEG-Reform 2020 und die Landesbauordnungen sehen keine Ausnahmen vor. Auch wenn der Balkon nur aus Holz besteht oder kaum sichtbar ist - er verändert die Fassade und die Statik des Gebäudes. Das ist rechtlich eine bauliche Veränderung. Ohne Genehmigung riskierst du einen Abrissbefehl und hohe Nachkosten.

Wie viel kostet ein Statiker für einen Balkonanbau?

Ein statisches Gutachten für einen Balkonanbau kostet zwischen 800 und 1.500 Euro, abhängig von der Komplexität des Gebäudes und der Region. In Altbauten oder bei unklaren Tragwerken kann es auch bis zu 2.000 Euro kosten. Das ist ein fester Bestandteil des Bauantrags - und der wichtigste Punkt, um die Genehmigung zu bekommen. Viele Bauanträge scheitern nicht an den Unterlagen, sondern an fehlenden oder unvollständigen statischen Berechnungen.

Was passiert, wenn ein Nachbar sich weigert, zuzustimmen?

Wenn ein Nachbar sich weigert, musst du prüfen, ob sein Einwand rechtlich haltbar ist. Laut § 20 Abs. 4 WEG darf eine Entscheidung nicht unbillig benachteiligen. Wenn er nur sagt „Ich mag das nicht“, ohne konkrete Gründe wie Schattenwurf, Lärm oder Einblicke, kann die Eigentümerversammlung trotzdem zustimmen. Wenn er aber nachweist, dass der Balkon seine Ruhe oder Sicht beeinträchtigt, muss die Gemeinschaft das berücksichtigen. In solchen Fällen kann man oft durch Anpassungen - z.B. eine andere Position oder ein transparentes Geländer - eine Lösung finden.

Gibt es Fördermittel für Balkonanbauten?

Ja - aber nur in wenigen Städten. Berlin fördert Balkonanbauten mit bis zu 5.000 Euro pro Balkon über das Programm „Mehr Leben im Viertel“. In einigen Kommunen in Baden-Württemberg und Bayern gibt es Zuschüsse, wenn der Balkon Teil einer energetischen Sanierung ist - z.B. wenn die Fassade gedämmt wird. In Österreich gibt es keine bundesweite Förderung, aber in einigen Gemeinden wie Graz oder Salzburg gibt es Zuschüsse für barrierefreie oder energieeffiziente Modernisierungen. Frag immer beim örtlichen Bauamt oder der Stadtverwaltung nach - es lohnt sich.

Wie lange dauert der gesamte Prozess von der Idee bis zum fertigen Balkon?

Der gesamte Prozess dauert im Durchschnitt 10 bis 14 Monate. Die längste Phase ist die Genehmigung: 4 bis 8 Monate, je nach Bundesland und Auslastung des Bauamts. Dazu kommen 1-3 Monate für die Eigentümerversammlung, 1-2 Monate für die Statik und 2-3 Monate für den Bau selbst. Wer mit der Planung früh beginnt, kann die Wartezeit nutzen, um die Eigentümer zu überzeugen und die Unterlagen perfekt vorzubereiten. Wer warten will, bis er „endlich loslegen“ kann, verliert oft mehrere Monate.

Kann ich einen Balkon an einem denkmalgeschützten Haus bauen?

Sehr selten. Bei denkmalgeschützten Gebäuden werden Balkonanbauten in nur 28 % der Fälle genehmigt. Die Denkmalschutzbehörden achten darauf, dass die Fassade, die Fensterformen und das Gesamtbild erhalten bleiben. Ein moderner Glasbalkon oder ein metallisches Geländer wird meist abgelehnt. In Einzelfällen wurden kleine, unauffällige Holzbalkone genehmigt - aber nur, wenn sie originalgetreu gestaltet waren und nicht sichtbar von der Straße aus waren. Wenn du in einem denkmalgeschützten Haus wohnst, ist ein Balkonanbau praktisch ausgeschlossen - es sei denn, du akzeptierst, dass du keinen Balkon bekommst.

Was ist, wenn ich den Balkon schon gebaut habe - ohne Genehmigung?

Wenn du den Balkon schon gebaut hast, ohne Genehmigung, musst du sofort handeln. Melde dich beim Bauamt und erkläre die Situation. In einigen Fällen kann eine Nachträgliche Genehmigung beantragt werden - aber nur, wenn die Statik stimmt und keine Nachbarn benachteiligt werden. Wenn das Bauamt den Balkon als rechtswidrig einstuft, wird ein Abrissbefehl ausgesprochen. Du musst dann den Balkon selbst entfernen - und bezahlen. Die Kosten dafür liegen oft höher als der Neubau. Es gibt keine „Gnadengeschenke“ - das Baurecht ist streng.

3 Kommentare

kjetil wulff
kjetil wulff
Dezember 22, 2025

Ich hab letztes Jahr meinen Balkon gebaut - ohne Genehmigung. Hat 3 Tage gedauert, 8000 Euro gekostet und jetzt steht er da. Das Bauamt hat ihn noch nicht gesehen. Wer soll das schon kontrollieren? Ich hab doch auch keine Nachbarn, die sich beschweren. Einfach machen, nicht reden.

Kristine Melin
Kristine Melin
Dezember 24, 2025

Du denkst du bist frei aber du bist nur blind. Die Statik ist kein Vorschlag. Sie ist Gesetz. Und Gesetz ist kein Vorschlag. Du wirst es spüren.

Ofilia Haag
Ofilia Haag
Dezember 25, 2025

Was hier als praktische Anleitung daherkommt, ist in Wahrheit ein Manifest der gesellschaftlichen Entfremdung. Jeder Quadratmeter Lebensraum wird zum Rechtsstreit, jede kleine Freiheit zur bürokratischen Prüfung. Wir haben nicht mehr gebaut, wir haben verhandelt. Der Balkon ist kein Anbau mehr - er ist ein Symbol dafür, dass wir uns selbst enteignen, um uns zu rechtfertigen.

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