Was ist Leerstandsmanagement wirklich?
Leerstandsmanagement ist kein einfaches Aufräumen von leeren Häusern. Es ist eine systematische Strategie, um verwaiste Gebäude in Regionen wiederzubeleben, die seit Jahren zurückgeblieben sind. In ländlichen Gemeinden oder ehemaligen Industriegebieten wie Teilen des Ruhrgebiets stehen tausende Wohnungen und Gewerberäume leer. Die Ursachen sind klar: junge Leute ziehen weg, die Kaufkraft sinkt, und niemand investiert mehr in alte Häuser, weil sie als riskant gelten. Doch Leerstand ist nicht nur ein Problem der Immobilienwirtschaft - er frisst die Seele einer Gemeinde. Leere Fenster, verfallene Fassaden, abgerissene Türen - das schreckt neue Bewohner ab, senkt die Grundstückspreise und treibt die verbleibenden Bewohner in die Stadt.
Warum funktioniert Leerstandsmanagement nur mit einem ganzheitlichen Ansatz?
Viele Kommunen denken, sie könnten Leerstand einfach durch Sanierung lösen. Aber das reicht nicht. Ein Haus zu reparieren, ohne zu prüfen, wer es künftig bewohnen wird, ist wie ein Auto zu reparieren, ohne Benzin zu tanken. In strukturschwachen Regionen gibt es oft nicht genug Nachfrage. Deshalb muss man zuerst fragen: Wer könnte hier wohnen? Sind es Senioren, die zurückkehren? Familien, die aus der Stadt fliehen? Start-ups, die günstige Gewerbeflächen suchen? Die Antwort bestimmt, ob man ein Haus in eine WG verwandelt, es für Flüchtlinge bereitstellt oder als Atelier für Künstler nutzt.
Ein Beispiel aus dem Saarland: In Gemeinden nahe der luxemburgischen Grenze ziehen Menschen aus Luxemburg ein - sie verdienen dort mehr, wollen aber ruhiger leben. Die Kommunen haben darauf reagiert, indem sie leerstehende Häuser mit geringem Aufwand modernisierten und sie als „Grenzwohnungen“ bewarben. Der Erfolg? Leerstandsquote sank um 18 % in drei Jahren. In Ostdeutschland hingegen, wo kaum Zuzügler kommen, funktioniert das nicht. Hier muss man andere Wege gehen: etwa gemeinschaftliche Wohnformen, Co-Living oder temporäre Nutzungen wie Pop-up-Cafés oder Werkstätten.
Welche Daten braucht man, um richtig zu handeln?
Die größte Schwäche vieler Kommunen ist die fehlende Datengrundlage. Viele wissen nicht einmal genau, wie viele Gebäude leerstehen, wo sie stehen oder wer sie besitzt. Ohne diese Informationen läuft man im Dunkeln. Ein erfolgreiches Leerstandsmanagement beginnt mit einer detaillierten Bestandsaufnahme. Das bedeutet: jede Immobilie wird erfasst - mit Adresse, Baujahr, Zustand, Größe, Eigentümer und Nutzungsgeschichte. In Vorarlberg haben Gemeinden wie Sonntag und Raggal diese Daten gesammelt und festgestellt: 70 % der Leerstände haben bauliche Mängel, nicht fehlende Nachfrage. Das ändert alles. Statt teure Sanierungen zu planen, konzentrierten sie sich auf kleine, günstige Reparaturen: neue Fenster, Dachdämmung, Heizungsaustausch. Die Kosten sanken, die Vermietungsraten stiegen.
Wichtig: Nutzen Sie die Daten des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB). Sie zeigen, welche Regionen offiziell als strukturschwach gelten - und damit förderfähig sind. Der GRW-Index berücksichtigt Einkommen, Arbeitsplätze, Infrastruktur und Erwerbsquote. Wenn Ihre Gemeinde in diesem Index landet, können Sie Fördergelder beantragen. Aber Achtung: ab 2026 wird der Index erweitert. Breitband, MINT-Berufe und Verkehrsinfrastruktur zählen jetzt mit. Wer jetzt nicht aufpasst, verpasst die nächste Förderrunde.
Wie baut man ein Quartierskonzept auf?
Ein Quartierskonzept ist Ihr Handbuch für die Zukunft. Es verbindet Immobilien, Menschen und Infrastruktur in einem Plan. Es geht nicht um ein einzelnes Haus, sondern um ein ganzes Viertel. In Dresden haben wir in einem ehemaligen Industrieareal ein solches Konzept entwickelt: Statt einzelne Fabrikhallen zu verkaufen, haben wir sie zu einem kulturellen Zentrum umgebaut - mit Ateliers, einer Kita, einem Gemeinschaftsgarten und einem Café, das von Senioren betrieben wird. Die Idee? Jeder Nutzer stärkt den anderen. Die Kita bringt Familien, die Senioren sorgen für Sicherheit, das Café für Lebensmittelversorgung.
So funktioniert es: Zuerst identifizieren Sie die zentralen Probleme - ist es der Mangel an Kindertagesstätten? Die fehlende Arztpraxis? Die schlechte Busverbindung? Dann suchen Sie nach Immobilien, die diese Lücken schließen können. Ein leerstehendes Geschäftshaus wird zur Apotheke, ein altes Schulgebäude zur Fahrradwerkstatt mit Ladesäulen. Die Finanzierung? Kombinieren Sie Bundesmittel (über das Stadtumbau-Programm), Landesförderung und private Investoren. Die Transferstellen Stadtumbau West bieten seit 2019 kostenlose Beratung - nutzen Sie das!
Welche Finanzierungsmodelle funktionieren wirklich?
Die meisten Kommunen scheitern nicht an der Idee, sondern am Geld. Sanierungen kosten viel, und die Eigenkapitaldecke ist dünn. Aber es gibt Wege, die funktionieren:
- Immobilienfonds für Kommunen: Mehrere Gemeinden bündeln ihre leerstehenden Häuser und gründen gemeinsam einen Fonds. Ein Investor kauft die Immobilien, die Kommune erhält eine jährliche Pacht. Die Rendite ist gering, aber stabil - und das Risiko ist verteilt.
- Genossenschaften: Bewohner gründen eine Wohnungsbaugenossenschaft. Sie kaufen ein leerstehendes Haus, sanieren es gemeinsam und bewohnen es. Die Stadt unterstützt mit Zuschüssen und günstigen Grundstückspreisen.
- Zeitlich begrenzte Nutzungen: Ein leerstehendes Gewerbegebäude wird für drei Jahre als Pop-up-Markt, Künstlerresidenz oder Co-Working-Space vermietet. Die Miete ist niedrig, aber der Effekt ist hoch: Es kommt Leben zurück in die Straße. Nach drei Jahren entscheidet man: Sanieren oder abreißen?
Vermeiden Sie den Fehler, alles selbst zu finanzieren. Nutzen Sie die Förderprogramme des Bundes: Stadtumbau Ost/West, GRW, KfW-Programme für energetische Sanierung. Die Anträge sind kompliziert - aber die Transferstellen helfen kostenlos dabei.
Was macht den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern?
Der entscheidende Faktor ist nicht das Geld, sondern die Zusammenarbeit. In strukturschwachen Regionen gibt es oft zu viele Akteure, die nicht miteinander reden: die Kommune, die Eigentümer, die Banken, die Mieter, die Vereine. Wer alleine agiert, scheitert. Erfolgreiche Kommunen bauen Netzwerke auf. Sie laden jeden Monat die wichtigsten Akteure zu einem „Leerstands-Tisch“ ein - mit Kaffee, ohne Protokoll, nur zum Austausch. So entstehen Ideen, die kein Planungsbüro je hätte entwickelt.
Ein Beispiel aus Thüringen: Eine Gemeinde hatte 200 leerstehende Häuser. Niemand wollte sie kaufen. Dann kam ein junger Architekt, der mit Studenten ein „Haus-Adoptierungs-Programm“ startete: Jeder, der ein Haus übernahm, bekam eine kostenlose Beratung, einen Zuschuss für die erste Sanierung und einen Platz auf der Gemeinde-Website. Innerhalb von zwei Jahren wurden 67 Häuser übernommen - von jungen Familien, Rentnern, Künstlern. Kein Investor, keine große Firma. Nur Menschen, die sich engagierten.
Was passiert, wenn man nichts tut?
Leerstand ist kein vorübergehendes Phänomen. Er wächst. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) prognostiziert: In ländlichen Regionen mit Bevölkerungsrückgang wird die Zahl leerstehender Wohnungen bis 2030 weiter steigen. Die Folgen? Soziale Segregation. Ältere Menschen bleiben allein zurück, weil niemand mehr in die Nachbarschaft zieht. Die Infrastruktur wird abgebaut: Busse fahren seltener, der Supermarkt schließt, die Schule wird aufgelöst. Das ist ein Abwärtsspirale, die kaum noch zu stoppen ist.
Und das Schlimmste: Die Kommunen verlieren die Kontrolle. Eigentümer, die nicht mehr reagieren, verfallen. Die Stadt kann nicht einfach ein Haus abreißen, wenn es nicht öffentlich ist. Sie braucht den Eigentümer - und der ist oft nicht auffindbar. Dann bleibt nur noch der Abriss - und das ist teuer, umweltschädlich und verliert das historische Gewicht des Ortes.
Wie fängt man an - Schritt für Schritt
- Erheben Sie die Daten: Machen Sie eine Inventur aller leerstehenden Gebäude. Notieren Sie Zustand, Eigentümer, Größe, Lage.
- Prüfen Sie Förderfähigkeit: Ist Ihre Gemeinde im GRW-Index gelistet? Wenn ja: Welche Förderprogramme kommen in Frage?
- Identifizieren Sie Bedarfe: Was fehlt in Ihrer Gemeinde? Kita? Arzt? Laden? Arbeitsplätze?
- Entwickeln Sie ein Quartierskonzept: Welche Immobilien können welchen Bedarf decken?
- Suchen Sie Partner: Banken, Genossenschaften, Vereine, Künstler, Studenten - wer könnte mitmachen?
- Starten Sie mit einem Pilotprojekt: Sanieren Sie ein Haus. Vermieten Sie es. Dokumentieren Sie den Prozess.
- Skalieren Sie: Wenn es funktioniert, wiederholen Sie es - mit mehr Häusern, mehr Partnern.
Was kommt als Nächstes?
Die Zukunft des Leerstandsmanagements liegt nicht im Abriss, sondern in der Transformation. Gebäude werden nicht mehr nur als Wohnraum gesehen, sondern als Ressourcen für soziale, kulturelle und ökologische Innovationen. Ein altes Postamt wird zur digitalen Werkstatt, eine ehemalige Fabrik zur Solar- und Windenergie-Schulungsstätte. Die Kommunen, die jetzt anfangen, werden in zehn Jahren die attraktivsten Orte sein - nicht weil sie viel Geld haben, sondern weil sie Menschen zusammengebracht haben.
Die Zeit, zu warten, ist vorbei. Die ersten Schritte sind klein. Aber sie zählen. Fangen Sie heute an - mit einem Haus, mit einer Idee, mit einem Gespräch.
Was gilt als strukturschwache Region in Deutschland?
Eine Region gilt als strukturschwach, wenn sie im Index der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) erfasst ist. Dieser Index berechnet sich aus vier Kriterien: regionales Einkommen, Arbeitsmarktentwicklung, Erwerbsquote und Infrastrukturausstattung. Seit 2026 werden auch Breitbandausbau, Anteil an MINT-Berufen und Verkehrsinfrastruktur berücksichtigt. Die Liste wird vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) veröffentlicht und ist öffentlich einsehbar.
Kann ich als Privatperson ein leerstehendes Haus in einer strukturschwachen Region kaufen?
Ja, das ist möglich - oft sogar günstiger als in Großstädten. Viele Kommunen verkaufen oder verpachten leerstehende Immobilien an private Investoren, wenn sie ein sanierungsfähiges Konzept vorlegen. Wichtig: Fragen Sie bei der Gemeinde nach, ob Fördermittel für die Sanierung verfügbar sind. Oft gibt es Zuschüsse für Energieeffizienz, barrierefreie Umbauten oder die Schaffung von Wohnraum für Senioren.
Wie lange dauert es, bis ein Leerstandsprojekt erfolgreich ist?
Es dauert typischerweise 12 bis 18 Monate, bis ein Projekt von der Idee bis zur ersten Vermietung läuft. Der längste Schritt ist oft die Datenerhebung und die Suche nach Partnern. Die Sanierung selbst kann in einigen Fällen innerhalb von drei bis sechs Monaten erledigt sein - vorausgesetzt, die Finanzierung ist gesichert und die Baugenehmigung liegt vor.
Welche Rolle spielen Genossenschaften beim Leerstandsmanagement?
Genossenschaften sind ein Schlüsselmodell, besonders in ländlichen Regionen. Sie ermöglichen es, dass mehrere Menschen gemeinsam ein Haus kaufen, sanieren und bewohnen. Die Kommune kann Grundstücke günstig abtreten, Fördermittel bereitstellen und Beratung anbieten. Die Genossenschaft übernimmt die Sanierung und Verwaltung. Das reduziert das Risiko für Einzelpersonen und schafft stabile, langfristige Wohnverhältnisse.
Gibt es Fördermittel für die Umwandlung von Gewerbe in Wohnraum?
Ja. Das Bundesprogramm „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ fördert die Umwandlung von leerstehendem Gewerbe in Wohnraum. Auch die KfW bietet Zuschüsse für energetische Sanierung und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Wichtig: Der Antrag muss vor Baubeginn gestellt werden. Die Transferstellen Stadtumbau West helfen bei der Antragsstellung kostenlos.
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